Ergreift bitte nicht die Macht!

Das Problem des Bruchs. In keiner Weise können wir es umgehen. Entschlossene Massen, die in tausend Richtungen drängen. Lenin, eine Intuition, an einem Punkt brechen, den ganzen Rahmen ändern. Ein Fingerzeig, die Macht ergreifen. Wir kennen den unendlichen Wahnsinn, die unendliche grausame Gewalt, den unendlich idealistischen Anspruch des Sozialismus.
Die Macht zu ergreifen heißt, dass die Partei den (leeren?) Ort des Staates ergreift und diese auf paranoide Weise hypersubjektive Gestalt modelliert die reale Gesellschaft durch eine Operation der gigantischen Gewalt gegen den lebenden Körper der Massen.
Der Staat, der die Gesellschaft ändert. Könnt ihr euch das vorstellen?
Das ist die paranoide Idee, die die moderne Gesellschaft ab dem Moment, in dem der Widerspruch der Arbeiter begonnen hat, die Einheit der Organisation und der Arbeit aufzulösen, geführt hat. Es ist der Wahnsinn, den Nationalsozialismus und Stalinismus, Faschismus und New Deal, Keynes und die Demokratie gemein haben.

Und wenn wir von einer Ähnlichkeit dieser Systeme des Zwangs sprechen, haben wir keineswegs die Intention, von einer Macht ohne Zeichen und ohne Bestimmtheit zu fantasieren, ein unverständliches, ungeheuerliches Gulag, wie es die verwesten Überreste des kritischen Gedanken, in Form der neuen Philosophie reinkarniert, tun:
Wir sprechen vielmehr beispielsweise von der Gleichschaltung des Arbeitsmarktes durch autoritäre Gesellschaften gemäß ähnlichen Modellen. Die Industrialisierung in der UdSSR baut auf einer riesigen Masse an nicht lohnförmiger (nicht freier) Arbeit, an sklavenähnlicher Arbeit, auf der erzwungenen Abnötigung einer starren Masse von absoluten Mehrwert.
Die gleiche Sache passiert in Deutschland; und im Grund ist das der Sinn des Totalitarismus: Erzeugung eines erzwungenen Bereichs des Arbeitsmarkts, dazu fähig die gesamte Lohnarbeit zu disziplinieren.
Aber versucht nicht der neue Totalitarismus heute, in Europa, vielleicht den gleichen Weg einzuschlagen, indem er die Gruppen der unsicher Beschäftigten auf Zwangsarbeit reduziert?
Beruht der Kapitalismus wirklich auf der formalen Freiheit der Arbeit, oder ist die Bedingung selbst der Existenz der Lohnarbeit die Verfügung über eine Masse von Zwangsarbeit?
Das Sklaventum des 20. Jahrhunderts, vom Gulag über den Lagern, bis hin zu neue, ausgefeilteren Formen der Zwangsarbeit, ist das eine zufällige Übereinstimmung, oder vielmehr ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Entwicklung? Und ist nicht vielleicht das die Erklärung und die Grundlage des Totalitarismus?

Die inzivile Gesellschaft
Aber zu sagen, dass der Staat beansprucht der Gesellschaft eine Form zu geben, heißt von einer Illusion zu sprechen; folgen wir also dem realen Prozess. Die soziale Beziehung der Verwertung gibt sich eine hypersubjektive Gestalt, ein paranoides Surrogat des wirklichen herrschenden Modus der Produktion. Dieses Surrogat beansprucht die Interessen der ganzen Gesellschaft zu verkörpern, während es in wirklich nichts anderes macht als das bestimmte Bedürfnis, die Ausbeutung der lebendigen Arbeit und die Kontrolle über die Arbeitszeit auszuweiten, auf den Schirm der Universalität, die es für sich beansprucht, zu projizieren.
An dieser Stelle dreht sich die Beziehung um und der Staat – hypostatische Gestalt des realen Prozesses – wirkt auf die Gesellschaft, damit diese formal gemäß dem kapitalistischen Ziel modelliert wird. Der Staat schafft somit der zivilen Gesellschaft eine Form, damit diese seinem Ziel, eine Gesellschaft der Produzenten, entspricht. Aber in dem Moment, in dem diese Formgebung zu einer wirklichen Identität zwischen Staat und ziviler Gesellschaft führt, tritt eine monströse, nicht zu reduzierende Subjektivität auf und diese hat die skandalöse Form (weil sie die Einzige ist, die aus dem schwindelerregenden Spiegelspiel Staat – zivile Gesellschaft hinaustritt) einer inzivilen Gesellschaft. Die Zeit, die sich der Leistung entledigt, ist diese inzivile Gesellschaft. Eine Gesellschaft jener Gruppen, die in sich die Ablehnung der Arbeit tragen, die ihr Leben als Dringlichkeit und Möglichkeit der Ersetzung der Arbeit mit dem Produkt der Intelligenz organisieren.
Heute stellt die inzivile Gesellschaft das Problem des Bruchs. Wir sagen, dass dieses Problem gänzlich eins ist mit dem der Macht. Während des Kampfzyklus, der mit ´68 begonnen hat und dessen größte Verkörperung gerade die italienische Bewegung darstellt, hat sich die Bewegung diesem Problem mindestens zwei Mal gegenübergesehen: Frankreich, Mai ´68 und Portugal, 1975. Es hat mit einem Zurückweichen und einem Abflauen geendet. Heute sagen wir: Sie sind das Problem der Macht mit den alten Kategorien angegangen und haben gedacht, dass die Macht heißt die Macht zu ergreifen.
Heute sagen wir: Das Problem der Macht zu lösen, heißt die Loslösung von der Macht bis zum Ende zu treiben und dieser Loslösung eine Form der sozialen Organisierung (der Organisierung einer anderen Gesellschaft zu geben). Wir treten für die politische Fruchtbarkeit einer schizophrenen Ansicht ein: Wer hat gesagt, dass eine Realität, dass eine Logik existiert? Heute sagen wir: Es gibt nicht nur eine Realität, nicht nur eine Logik, nicht nur eine Gesellschaft. Eben doch: zwei Gesellschaften!
Entfliehen. Die Lösung des Problems der Macht ist heute nicht die Macht zu übernehmen. Aber nicht nur das! Dass der Staat des Kapitals seinen Raum verwaltet (der nichts anderes als der der Verwaltung und der Zerstörung ist), während im Bereich der Autonomie diese endgültige Akkumulation ihren Anfang nimmt. Diese ist die Anwendung der Intelligenz, die Planung und der Aufbau einer Gesellschaft, die nicht arbeitet, die nicht akkumuliert, die lebt: Eine Gesellschaft der Aktivität.

(Aus A/traverso, 1. September, 1977)

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