EIN POLITISCHES EREIGNIS – EIN HISTORISCHES EREIGNIS

März 1973: Fiat Mirafiori

Die roten Fahnen auf der Fiat-Fabrik hat es schon andere Male gegeben, 1920 und 1945, bevor es Ende März im Jahr des Herrn 1973 dazu kam.
Auf den ersten Blick hatten diese ein tarifvertragliches Ziel, verschieden und etwas schwach im Vergleich zu dem politischen Kampf 1920 oder jenem des Partisanenwiderstands. Aber so ist es gerade nicht: Die Musik spielt in dieser neuen Besetzung der größten Fabrik Europas nicht leiser: Im März 1973 haben die Arbeiter bei Fiat, ob sie es wissen oder nicht, in einem großen Kraftakt klargestellt, dass die kommunistische Revolution wieder auf den Vormarsch ist und ein neues Programm hat.

1920 bildeten die Facharbeiter die Avantgarde des Kampfes, aus ihrer Stärke erwuchs die Möglichkeit, sich mit den „Hilfsarbeitern“ und den technischen Schichten zu vereinigen. Nach dem ersten Weltkrieg schien das Kapital ein Monster, bestimmt dazu, eine faule Wunde zu werden und so die Entwicklung der Produktion zu paralysieren. Die Arbeiter antworteten, indem sie „besser“ ohne den Kapitalisten arbeiteten, ihm die Fabrik durch eine Besetzung entrissen und so konkret zeigten, dass die Facharbeit sich komplett entfalten kann, wenn sie sich der überflüssigen Präsenz der Fabrikbesitzer entledigt. Der Fabriksrat war nicht bloß ein Instrument der Organisation, er war der Ort, an dem die Arbeiter, in der Fabrik getrennt, in einem einheitlichen Programm den Fakt eine Klasse – eine Gruppe von Leuten mit den gleichen Bedürfnissen, den gleichen Zielen, mit einer einzigen gegen die Bosse gerichteten Organisation – zu sein, ausdrückten.
Im März 1973 war alles ganz anders: Die Arbeiter, an ihrer Spitze die ungelernten, arbeiteten nicht, ließen diejenigen, die arbeiten wollten, nicht hinein und verließen die Fabrik am Wochenende.
Die Arbeiter fühlen sich als eine Klasse, eine einheitliche, dem Boss entgegengesetzte Gruppe von Leuten; nicht, weil sie sich im Rat wiedererkennen, sondern weil sie alle die gleiche scheiß Arbeit machen und genug haben von dieser scheiß Arbeit und von den Bossen, die sie dazu zwingen. Der Rat ist entweder ein Arm, der mit dem Körper der Massen in Bewegung verbunden ist (mit der Demonstration, mit der Versammlung, mit dem Streikposten) oder es braucht ihn nicht und er repräsentiert nicht die Klasse und muss verschwinden.
Die Arbeiter bei Fiat haben mit ihrem Kampf vier Sachen laut und klar gesagt:
Die erste: Gegen die Arbeiter kommen die Bosse nicht an. Die Kräfteverhältnisse sind nach 5 Monaten (in Wirklichkeit 5 Jahre) des Kampfs zugunsten der Arbeiter.
Die zweite: Zu arbeiten, um uns zu beweisen, mit unseren „Fähigkeiten“, gegen die Bosse, interessiert uns überhaupt nicht. Unsere „Fähigkeit“ ist es die Fabrik zu übernehmen, so wenig wie möglich zu arbeiten, weil das eine Sauarbeit ist.
Die dritte: Der „politische“ Kampf außerhalb der Fabrik, die Schläge gegen die ganze Kapitalistenklasse und gegen die Regierung sind umso stärker, je stärker man auch innerhalb der Produktion zuschlägt.
Die vierte: Angesichts der Stärke der Arbeitermassen, der politischen Inhalte der Fremdheit gegenüber der Arbeit, der Notwendigkeit der Klasse sich ein Programm des Kampfs und der Stärke zu geben, haben alle Gruppen [1] (einige mehr, andere weniger) ihre Ohnmacht gezeigt.
Ausgehend von den Karosserien haben die Arbeiter Mirafiori blockiert und anschließend in einer großen Bewegung die anderen Abteilungen der Fiat-Fabrik und viele, große und kleine Fabriken in Turin vereinigt.
Vorarbeiter, Streikbrecher, Manager wurden nicht in die Fabrik gelassen, den Arbeitern passen jene nicht, denen es gefällt für den Boss zu arbeiten.
Die Delegierten des Rats wurden im Laufe eines Kampfes, den die Arbeitermassen autonom organisiert haben, „überprüft“, indem sie sich Organisationsformen gegeben hat, die alles andere als primitiv sind: Massenstreik an den Toren, gestaffelte Streiks, Kampfkomitees, Koordination mit den anderen Fabriken. Die aktiven und kampfbereiten Delegierten wurden erkannt, die anderen wurden aus der Leitung des Kampfs gedrängt.
Auch in der Motorenabteilung und der Abteilung der Pressen, wo die reformistische Organisierung breiter und verankerter ist, ist es den Arbeitern in gewissen Momenten gelungen die Kontrolleure des Kampfs zu überwältigen.
Den ungelernten Arbeitern haben sich auch die Facharbeiter angeschlossen.
Der Fakt, nicht zu arbeiten und die Auslieferung der Waren zu blockieren, indem die Fabrik besetzt wurde, zeigt, dass die Arbeiterklasse nicht die Macht in der Fabrik übernehmen will, um besser und mehr zu arbeiten, sondern um eine Arbeitsweise, die niemanden gefällt, komplett zu ändern.
Die Atmosphäre eines großen proletarischen Fests, die in diesen Tagen entstanden ist, zeigt, dass die Arbeiter sich als schaffende Menschen fühlen, nicht weil sie gut arbeiten, sondern weil sie sich weigern, menschliche Anhängsel der Maschine zu sein, die arbeiten, um zu überleben, und überleben, um zu arbeiten.
Die Studenten identifizierten in der Besetzung der Fiat-Fabrik sofort den Bezugspunkt, um auch ihren gleichen Modus des „leben, um zu studieren“ zu sprengen, jenseits und angesichts der Notwendigkeit für die Arbeiterklasse gegen die Produktionsweise (und somit auch gegen jene des Studiums) zu kämpfen.
Die Arbeiter müssen sich der Bedeutung ihrer Aktion, der historischen Wichtigkeit ihrer Aktion bewusstwerden.
Die Besetzung der Fiat-Fabrik gegen die Lohnarbeit, gegen die entfremdete Arbeit (niemand erkennt sich in diesem Leben der Arbeit wieder) ist der Höhepunkt, der fünf Jahre des nationalen und internationalen Kampfs gegen die kapitalistische Organisation und Teilung der sozialen Arbeit, zusammenfasst. Die Arbeiterklasse will leben, um all ihre kreativen Fähigkeiten auszudrücken, sie will eine freie Aktivität, nicht eine absurde Arbeit, um Profite zu akkumulieren.
Das erste Mal seit fünf Jahren streiten sich Reformisten und Revolutionäre nicht nur über die Theorie und die langfristigen Perspektiven, sondern darüber, was heute zu machen ist, was man ausgehend von heute machen muss, um diese Gesellschaft und diese Arbeit zu erhalten oder abzuschaffen.
Deshalb besteht für die Arbeiterklasse die Notwendigkeit die verschiedenen autonomen Realitäten in der Fabrik durch seine Avantgarden des Kampfs in eine politische Bewegung zusammenzubringen:  Um Momente der Einheit um ein Programm, das die fortschrittlichsten Kämpfe bereits definiert haben, zu finden, um gemeinsam über alle die Elemente, die der revolutionäre Gedanke bis heute hervorgebracht hat und die nützlich sind, um die Realität zu verstehen und zu verändern, zu diskutieren, jenseits der Differenzen der externen Gruppen, die nutzlos und falsch in dem Maße sind, in dem sie sich auf eine bestimmte Theorie stützen und nicht auf ein Programm des Kampfs und der Stärke.
Alle revolutionären Strömungen können und müssen innerhalb einer einheitlichen Bewegung über einheitliche Ziele diskutieren, kein Unterschied in der Theorie ist ausreichend, um das, was die Bewegung des Kampfs und das Programm vereinigt, zu trennen.
In Anbetracht der besetzen Fiat-Fabrik, ist die Sterilität der tausenden theoretisch-studentischen Kleinparteien offensichtlich: Ihre einzige mittelfristige Perspektive ist es, sich innerhalb der politischen Bewegung und dem organisatorischen Netzwerk der autonomen Organismen der Fabrik und der Schule zu koordinieren, um mit Hilfe der Theorie und der Militanten, die sie angesammelt haben, zum einheitlichen Wachstum der Bewegung und der politischen Debatte beizutragen.

(aus Rosso nr. 3, 16.April 1973)


[1] Wenn hier wie auch an anderen Stellen von Gruppen die Rede ist dann sind die linksradikalen außerparlamentarischen Gruppen und Organisationen, die insbesondere im Laufe bzw. in der Folge von 1969, entstanden sind, wie Potere operaio, Lotta continua oder Avanguardia operaia. gemeint (Anm. d. Ü.)

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