Quer durch die Repressionen

DIE KLEINEN GRUPPEN ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Politischer Kampf und ökonomischer Kampf – Partei und Klasse – Intellektuelle und Arbeiterklasse – Diktatur des Proletariats und kommunistisches Ideal sind die Institutionen jener Zeit, als die Arbeiterklasse gezwungen war, sich auf dem engen Terrain der Politik zu bewegen.
Partei der Klasse gegen die Partei der Bourgeoisie, Heer der Arbeiter gegen das Heer der Repression, proletarische Demokratie gegen die bürgerliche Demokratie. Aber die Demokratie ist der Totalitarismus der Politik auf seinem allerhöchsten Niveau, sie ist der Ort der Delegierung sowohl für die Militanten als auch für die Massen.
Der Militante findet sein Lebenzweck in der politischen Organisation im Tausch für die Beseitigung von sich selbst als politisches Subjekt, die Massen sind politisches Subjekt ohne Macht. Beide verzichten darauf zu leben. Der Fachmann der Revolution und der Fachmann des Alltagsleben schlagen im demokratischen Spiel der Delegierung die Aufteilung der Gesellschaft in Klassen wieder vor: (Sowjetunion) ein System, das, um die Kontrolle über die Gesellschaft zu behalten, gezwungen ist sich zu von dieser isolieren und sich zum Träger von Modellen des entfremdeten Lebens macht, ein System, das der proletarische Kampf dazu zwingt, mit dem eigenen Suizid den Suizid der ganzen Gesellschaft zu versuchen, eine Gesellschaft, die der Macht die eigenen Begehren zu realisieren beraubt ist. Es ist kein Sieg des Staates, sondern das Fortdauern der Modelle der kapitalistischen Gesellschaft.

Kampf für die Macht/Kampf gegen die Macht.
Die Revolution ist kein Gala-Dinner/die Revolution wird ein Fest sein oder sie wird nicht sein.
Das Programm-die Partei-die Revolution (der 16. ist zu früh, der 18. ist zu spät.)
Für den Lohn kämpfen, für ein besseres Leben kämpfen, für die Macht kämpfen. IMMER DIE GEGENWART OPFERN.

Die Bosse ziehen zu stark an der Leine und dann antworten die Arbeiter. Aber wenn der Angriff des Kapitals auf der Ebene des Lebens und der Existenz stattfindet, tendiert der Unterschied zwischen Kämpfe und Leben dazu, zu verschwinden. Die politische Arbeit, die Hausarbeit, das Einsetzen der eigenen Intelligenz in den Schulen, in den Büros, den Laboren: alle Arbeiten geraten in die Krise, denn an ihnen hängt nicht nur die Möglichkeit der Arbeit an sich selbst, sondern auch die Qualität und Quantität der Bedürfnisse, die sich durch die Arbeit befriedigen lassen. Das Problem ist nicht die Verteidigung des Arbeitsplatzes. Der Militante, der sich als Karbonaro ausgibt, die Partei der revolutionären Linken, die die politischen Preise verlangt, die feministischen Kollektive, die Lohn für Hausarbeit fordern, riskieren ein weiteres Mal sich dem sozialdemokratischen Projekt der Trennung von Lohn und Bedürfnis unterzuordnen, sie lösen noch einmal den Mechanismus der Delegierung, durch den eine Gruppe sich zur Aufgabe macht, über die Bedürfnisse der Massen zu verhandeln, aus. Sie bedeuten immer noch Verzicht für eine bessere Zukunft.
Das Kapital antwortet auf seine Weise: die Erlaubnis zu töten für die Repressionsorgane, „politische Preise“, also die Erhöhung des Benzinpreises, wenn der internationale Preis des Erdöls fällt, Erhöhung der Kosten des Essens mit kurzer Kochzeit und der Preise in den öffentlichen Gasthäusern.
Das Programm der Massen würde in keiner Bibliothek Platz finden, die revolutionäre Partei hat seine Sitze in jedem Haus, an jedem Ort der Arbeit, des Studiums, des Vergnügens, an jedem Ort, an dem man für die Realisierung der eigenen Begehren kämpft, die Revolution hat nie aufgehört.

68 ist tot, es lebe 68
68 ist mit der Krise der revolutionären Gruppen zu Ende gegangen. Der Versuch aus der Arbeiterautonomie eine Perspektive auf die ganzen Gesellschaft zu entwickeln hat im organisatorischen Spektakel der allgemeinen Kampagnen Schiffsbruch erlitten.
Die Autonomie der Entwicklung der Arbeiter hat hingegen das ganze soziale Gewebe durch/drungen und hat dabei Wege eingeschlagen, die am Ende der 60er Jahre noch völlig undenkbar waren. Die Nichtreduzierbarkeit der Arbeiter auf die Aufbauversuche eine alles umfassenden Organisation ist ein Fakt, der mit der Geburt der feministischen Bewegung, die auf eine radikale Weise den Diskurs der Autonomie, der Verweigerung der Delegierung bis auf die Ebene der persönlichen Bedürfnisse vorangetrieben hat, vergleichbar ist. Wer den eigenen Mangel an Autonomie hinter der Partei von Mirafiori versteckte, wollte wieder ein unfassbares Phänomen, das bereits auf etwas Neues verwies, auf ein politisches Terrain festlegen.
Und die Früchte waren da. Die Apriltage 75, Lambro, Umbria jazz, Licola, die Demonstration von 5000 Studentinnen in Roma, die Demonstrationen am 8.März, die Antwort auf die letzten Provokationen der Polizei sind nur deren offensichtlichsten Früchte, sind nur die offensichtlichsten Zeichen der Neubelebung der Bewegung.
In diesen Jahren hat sich die Bewegung neue Instrumente des Kampfes und der Organisation gegeben. Die kleine Gruppe, Ort der Transformation der Existenz von zahlreichen Genossinnen und Genossen, Instrument zur Befreiung von Lebenszeit von der Arbeit, Terrain des Auftretens von neuen Wünschen ist faktisch die Zelle der Organisation der Bewegung der Trennungen.
Jeder Teil der Bewegung erlebt tiefe Risse. Es besteht die Gefahr, dass die kleinen Gruppen dazu gezwungen werden das Sektierertum als Ideologie des Überlebens anzunehmen, um die eigenen Identität und Struktur zu erhalten. Es besteht die Gefahr, dass Strukturen entstehen, die sich mehr aus der Vergangenheit als aus der Gegenwart der Bewegung ergeben. Es besteht die Gefahr, dass sich die Genossinnen und Genossen selbst zu Träger von Mechanismen des Ausschlusses und der Isolation machen.
Es ist nötig, die Zeit der Konfrontation finden zu können, es ist nötig, den Erfahrungen, die wir seit Jahren im Inneren der kleinen Gruppen machen, einen massenhaften Ausdruck zu geben.
Nicht, weil eine offizielle Anerkennung von Seiten der Macht nötig wäre, sondern um die Stärke unserer Wünsche zu messen. Das Kapital täuscht sich, wenn es glaubt die soziologische Gruppe, Träger neuer Bedürfnisse, isolieren zu können. Diese sind indes die Konsequenz des Kampfs der Massen und durch/dringen alle Teile der Bewegung.

LASST UNS DIE REPRESSIONEN ZERSCHLAGEN!
Die Repression, die die Genossen trifft, ist jene die alltäglich die Realisierung unserer Wünsche verhindert, die ihre Enthüllung auch uns selbst gegenüber verhindert.
Polizeiliche Repression, die Erhöhung der Preise, der Angriff der DC auf die Bewegung der Frauen in Bezug auf die Frage der Abtreibung sind ein zusammenhängendes Projekt.
Die Senkung des Reallohns ist das politische Instrument, um die Bewegungsfreiheit der Massen zu verringern. Wenn der Lohn das politische Verhältnis ist, das die Machtverhältnisse zwischen den Klassen misst, ist die Eroberung von Räumen zur Realisierung der Begehren die Praxis, die nicht bloß ermöglicht einen Teil eines sozialen Lohns zu erobern, sondern in Richtung der Abschaffung von genau diesem politischen Verhältnis mit dem Kapital bis hin zur Beseitigung der Lohnarbeit geht.
Diese Gesellschaft kann unsere Begehren nicht befriedigen/ es ist nötig damit zu beginnen, unsere Begehren zu realisieren.
Es ist möglich im Thema der Repressionen die Gelegenheit zum Austausch über und zur Überprüfung unserer realen Autonomie zu finden.
Piazza Maggiore kann die Darstellung/Aggregation der Repressionen, die die kleinen Gruppen, die Genossen, die Frauen tagtäglich an ihrem eigenen Leib erfahren, sein, ein Angriff auf die Stadt durch Vergnügen, durch Verkleidungen, Farben, Musik, Wut, Theater….
Es geht nicht um einen Schlag gegen das öffentliche Meinung, es geht nicht darum, das Bürgertum zu schocken, sondern darum, einer minoritären Logik zu entkommen, nach der man gegen die REPRESSION entweder Molotow-Cocktails wirft oder die Solidarität des Landes einfordert: wir erkennen ganz konkret, dass das Terrain der Bedürfnisse, das Terrain des alltäglichen Unbehagens, das Terrain des ständig unterdrückten Begehrens heute das Terrain ist, das den Sieg verspricht, das Terrain ist, auf dem man sich begeben soll, um eine breit geteilten Vorschlag, der nicht die Autonomie der Trennungen unterdrückt, zu schaffen.
Das ist keine Kampagne, die von den neuen Niveau der Repression aufgezwungen wurde, aber dieses selbst ist Zeichen der Reife der Bewegung. Wenn die Repression die bürgerliche Unterscheidung zwischen Legalität und Illegalität abschafft, ist es erforderlich das reale Niveau der Transformation unseres Leben ins Spiel bringen zu können. Nicht durch eine Demonstration, die nur gegen die Repression gerichtet ist, die sich in einer bloß physischen Ablassen unserer Wut ausdrückt, sondern durch einen Tag des Kampfes, der ein Zeichen der strategischen Bedeutung unserer Verhaltensweisen darstellt, der unsere Kreativität der Dummheit der Macht, die dazu gezwungen ist, sich die Banden des bewaffneten Kampfes zu erfinden, wenn es ihr nicht gelingt ein politisches Subjekt wegen seiner flüchtigen Natur zu ergreifen, gegenüberstellt
Ein Tag unseres Lebens, der dazu beitragen soll die alltägliche Praktik der kleinen Gruppen, der Kollektive, der Genossinnen und Genossen neu zu lancieren.

(aus A/traverso 1. März 1976)

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