Schwule Genossen HERAUS!

Das autonome Kollektiv Fuori! aus Mailaind fordert die 24.328 schwulen Genossen in Avanguardia Operaia, Lotta Continua, in dem Spektrum der Autonomia, in PDUP Manifesto und in allen anderen Organisationen und Gruppen der radikalen Linken auf, sich zu zeigen. 

Unser autonomes Kollektiv Fuori! (Einheitliche schwule revolutionäre italienische Front) entsteht aus der Zerstörung/Wiederaufbau der vorhergehenden Gruppe Fuori! aus Mailand.[1] Wir möchten deutlich machen, dass bereits bis jetzt diese Neugründung unseren politischen Vorschlag (Ziele, Praxis der Gruppe, Theorie) sowie unsere Definition von Schwulen, die bereit sind im revolutionären Sinne zu handeln, umfassend verändert.

SAG MIR, WIE DU FICKST, UND ICH WERDE DIR SAGE, WER DU BIST!
Wenn aus der Frage der sexuellen Befreiung inzwischen ein Moment der Konfrontation/Auseinandersetzung für alle, die sich mit einem kommunistischen Projekt identifizieren, geworden ist, ist das der Verdienst von neuen emanzipatorischen Bewegungen. Bewegungen, die – bei Betrachtung der Geschichte – bis jetzt nur von den Frauen und den Schwulen zur Entfaltung gebracht wurden; und das ist kein Zufall: Frauen und Schwule werden beide von der herrschenden Sexualität, die auf dem Primat der Genitalität und des Phallus basiert, nur auf die Produktion/Reproduktion der Familie abzielt und deshalb den freien Ausdruck der Lust zensiert, unterdrückt.

Wir wissen aus Erfahrung, dass, wenn man über sexuelle Repression spricht, man viel zu oft verallgemeinert. Das führt dazu, dass wir hören, wie gesagt wird: Auch die Männer werden unterdrückt. Danke auch, antworten wir. Aber ihr werdet auch von eurer schönen männlichen Rolle belohnt. Und erinnert euch, so wie ihr euren Boss in der Fabrik in die Krise gebracht habt, müsst ihr auch eure Phallokratie, also jene Rolle, die euch das Kapital auferlegt hat, um euch wiederum Bosse gegenüber den Frauen und allen, die von euch verschieden sind, zu machen, in die Krise bringen.
Solange ihr das nicht macht, werden wir Schwule, gemeinsam mit den Frauen, euch auf die Eier gehen, schließlich sind wir es, die – mehr als ihr – unsere ständig diskriminierte Sexualität allen unter die Nase reiben müssen.
Aber wir wollen um jeden Preis über die „schwule Provokation“ hinausgehen und wir wollen eine Konfrontation mit jenen Teilen der „Bewegung“, die in einem revolutionären Sinne den Kampf gegen das Kapital und seiner Herrschaft vorantreiben.
In Besonderen mit jenen Kräften, die sich, aus einem antiautoritären Blickwinkel, als Negation der traditionellen Form der bürokratischen Organisation setzen und die hingegen aufmerksam gegenüber allen Ausdrücken der Autonomie der Basis und der Kreativität, die das Proletariat immer mehr entdeckt, sind.
Wir aus dem autonomen Kollektiv wollen jenen roten Faden wieder aufnehmen, der uns von der Ablehnung der traditionellen Politik jetzt zu ihrer Wiederentdeckung führt und der durch die Zwischenphase der totalen Abgrenzung nach Außen führt, Eine Phase, die für uns dennoch zentral war und die uns die Wiederentdeckung unserer Identität als Schwule, vorher negiert, erlaubt hat.

EINE LANGE GESCHICHTE DER KLANDESTINITÄT
Wir aus dem autonomen Kollektiv sind aus der Linken, außerparlamentarisch und nicht, zu Fuori! gekommen. Wir waren die klassischen Genossen, Söhne der Kämpfe von 68/69, die im Rahmen des üblichen Weges, sich in die verschiedenen Bewegungen wiedergefunden haben. Wir waren allerdings unzufrieden mit den bürokratischen Rückentwicklungen, die sich in der Bewegung vermehrt zeigten, mit der kopflosen Praxis, die dazu führte hier und dort Flugblätter zu verteilen, und genervt, weil du, als Schwuler, dich auch noch vor deinen eigenen Genossen verstecken musstest, von denen du, wenn es gut ging, höchstens Verständnis und Toleranz bekommen konntest.
Wir können mit Sicherheit nicht diesen enormen Haufen an Enttäuschungen vergessen, wir werden uns vielmehr daran erinnern, zumal weil wir uns entschlossen haben die Kontakte mit der Bewegung wieder aufzunehmen. Anderseits werden wir uns nicht mit leeren moralistischen Attacken, indem wir den Genossen vorwerfen, nicht korrekt gegenüber den Schwulen zu sein, aufhalten:
Wir sind darüber hinaus gegangen, wir haben diese Enttäuschungen in ein theoretisch-praktisches Vermögen übersetzt, eine politische Kraft, die wir dazu verwenden werden alles Autokratische und Phallokratische, was immer noch in der Bewegung präsent und – innerhalb der Bewegung selbst – den Kampf für den Kommunismus verzögert, zu entmystifizieren.
Aber kehren wir in unserer Erzählung zu dem Zeitpunkt zurück, an den wir mit Fuori! Mailand zusammentrafen. Den ersten Kontakt haben wir mit der Zeitschrift, und dort lesen wir, dass es möglich ist Revolutionäre zu sein, auch wenn man schwul ist. Ja sogar: Man ist Revolutionär in seiner Eigenschaft als Schwuler.
Die Diskussion ist äußerst innovativ im Vergleich zu den Erfahrungen in den Gruppen. Hinter den Parolen und vielen Artikeln der Zeitschrift FUORI! steht der Feminismus.  Die Bewusstwerdung der Frau bringt Bereiche ans Licht, die von der Linken immer im Dunkeln gehalten wurden: die Sexualität, die Subjektivität, das Persönliche. Sie macht deutlich, dass jenseits des Widerspruchs Kapital/Arbeit, der immer für zentral gehalten wurde, es auch jenen zwischen Mann und Frau, zwischen der männlichen und der weiblichen Rolle gibt. Ein Widerspruch, der so zentral wie der andere ist. Die weibliche Bewusstwerdung demaskiert die fingierte Neutralität der Beziehung Mann/Frau und enthüllt, wie in deren Rahmen Unterdrückung und Ausbeutung stattfindet.
An diesem Punkt entdeckt der Schwule einen realen, nicht zufälligen Zusammenhang mit dem Diskurs der Befreiung der Frau: Er versteht, dass er marginalisiert wird, weil er diese Unterscheidung von Rollen nicht akzeptiert und ihre Selbstverständlichkeit untergräbt. In einer Gesellschaft, in der die einzige erlaubte Rolle die männliche ist, werden alle, die sie nicht haben (die Frau) oder sie untergräbt (der Schwule) marginalisiert.
In dieser anti-chauvinistischen Bewusstwerdung besteht der enorme Beitrag, den uns Fuori! vermittelt hat, als wir dazu gekommen sind.
In der Gruppe in Mailand haben wir uns insbesondere an einem Projekt beteiligt: der Selbsterfahrung (autocoscienza). Das heißt: unter Schwulen treffen und von der erlittenen Repression sprechen, uns selbst, unser Leid interpretieren, die Theorie ausarbeiten, indem wir direkt von unserem Leben ausgehen. Durch die Praxis der Selbsterfahrung haben wir unser schwule Identität, die wir vorher negiert hatten, wiedergewonnen.
Sehr bald aber ist uns bewusst geworden, dass die Selbsterfahrung andere Probleme offen und ungelöst belässt.

DIE SELBSTERFAHRUNG: WAS UNS DARAN PASST UND WAS NICHT
Am Anfang wird uns die Selbsterfahrung als eine Möglichkeit, um die eigene Sexualität aufzudecken, in das Unbewusste einzudringen und den eigenen „Phantasien“ und Obsessionen ins Gesicht zu schauen, präsentiert.
Durch die Selbsterfahrung wird einem bewusst, wie die Repression der männlichen Gesellschaft gegen uns Schwule, von uns nicht bloß als ein externes Element erlitten wird, sondern auch introjiziert und in ein Schuldgefühl verwandelt wird.
Aber dieser Wissensbestand blieb, zumindest in einer ersten Phase, fruchtlos und konnte nicht in eine Praxis überführt werden, die effektiv auf die Realität einwirkt.
Besser: Die Praxis blieb auf einer persönlichen und zwischenmenschlichen Ebene. Es wurden also aufreibende alltägliche Kriege und Schlachten gegen die männlichen Figuren, die man in seinem Leben vorfand, gegen der herausstechenden Phallokratie in seinem eigenen Umfeld geführt.
So ging die politische, soziale, kollektive, allgemeine Dimension der eigenen Widersprüchlichkeit als Schwuler verloren. Die Folge war, dass das Persönliche und das Politische undurchlässige Begriffe, die nicht miteinander kommunizierten, blieben.
Man verfiel also der gleichen Schizophrenie, die auch von den Gruppen vorangetrieben wird, die diese beiden Momente als unüberwindbar geteilt ansehen. Nur das das vorgeschlagene Schema genau umgekehrt war: Das Persönliche ist alles, die Politik ist nichts.
An diesem Punkt hatten viele von uns innerhalb der Gruppe die Notwendigkeit erkannt, nach außen zu gehen, die Notwendigkeit dort zu ermitteln und zu erkennen, auf Grundlage welcher Strukturen sich die männliche Figur auf einer Ebene, die über das bloß Individuelle hinausgeht (z.B. die repressiven Apparate) hinausgeht, präsentiert.

WENN DIE SCHWULEN AUCH PROLETARIER SIND (ODER, WENN DIE PROLETARIER AUCH SCHWULE SIND)
Zu Fuori sind wir mit der ganzen Komplexität unseres Daseins gekommen, aber in der Gruppe hat nur unsere schwule Spezifik Platz gefunden und auch diese nur als eine auf einen individuellen Widerspruch reduziert. Die andere Seite unser Realität, Proletarier zu sein, verschwand. Aus der Frustration, uns ein erneutes Mal einer Zerstückelung unterworfen zu haben, sind wir uns des klassenübergreifenden Charakters der bis jetzt ausgeübten Praxis bewusst. So zerfällt die schwule Ökumene. Die Gruppe stand in der Tat allen Schwulen überhaupt, ohne jede Unterscheidung, offen. Wir sind als Schwule alle gleich: Alle erfahren wir die gleiche Repression, wir müssen zusammenhalten und alle gemeinsam kämpfen. Aber sehr bald wurde klar, wie hingegen die Teilung der Gesellschaft in Klassen auch die schwule Bewegung durchzieht. Die Praxis der Selbsterfahrung, so wie sie vorangetrieben wurde, verschleierte diesen Widerspruch.
Das Problem der Homosexualität kann nicht allein und ausschließlich auf freudianische Schemata reduziert werden, sondern muss unter Berücksichtigung der Klassenzugehörigkeit derjenigen, die dieses Problem leben, neu betrachtet werden.
Nachdem die Zauberformel einer klassenübergreifenden Perspektive und der Ökumene um jeden Preis zerschlagen wurde, setzte bei vielen von uns ein Bewusstseinswandel ein und diese gründeten, sich selbst als proletarische Schwule definierend, die Gruppe Fuori! als autonomes Kollektiv Fuori! neu. Der Anspruch besteht darin, eine Theorie und eine Praxis des Kampfes auszuarbeiten, die uns nicht mehr trennen, sondern unser Dasein, gleichzeitig Schwule und Proletarier zu sein, neu bewertet und auflöst.
Wir möchten noch eine andere Präzisierung vornehmen. In den „Notizie Radicali“ vom 10. Oktober 1974 ist ein Artikel mit dem Titel “Die Gruppe Fuori! und die Partei“ von Angelo Pezzana, Koordinator der Zeitschrift FUORI! erscheinen. Dieser Artikel sagt unter anderem: „…wir glauben, dass, wenn wir als Fuori in die radikale Partei eintreten, werden wir Tag für Tag unser revolutionäres Potential als Schwule realisieren…“
Aus Gründen der Klarheit, möchten wir präzisieren, dass unser Kollektiv autonom von den anderen Fuori!-Gruppen in Italien ist. Autonom also auch von jeder Entscheidung, die von Angelo Pezzana, Sprecher der Fuori!-Gruppe aus Turin getroffen wurde. In anderen Worten: Der Eintritt in die radikale Partei hat nichts mit uns zu tun.

Eurer Kommunismus ist gegen die Homosexualität? Behaltet ihn!
Im Lichte unser wiederentdeckten Identität als proletarische Schwule, möchten wir wieder in der Bewegung aufgehen. Uns interessiert ein Kampf, der gleichermaßen anti-chauvinistisch und antikapitalistisch ist, und ein Kampf, der endlich den Bruch zwischen dem Persönlichen und dem Politischen aufhebt. Es wird tatsächlich immer klarer, wie das Kapital seine Herrschaft in der Fabrik (wo die Abpressung des vom Arbeiter produzierten Mehrwerts durch den Kapitalisten stattfindet) durchsetzt, sondern auch jenseits dieser. Es ist nicht bloß die Fabrik, wo sich die kapitalistische Herrschaft ausdrückt, sondern auch das Leben selbst, in all seinen Facetten.
Es ist diese Ebene der Herrschaft, die komplett und umfassend ist, auf die man mit einem notwendigerweise kompletten und umfassenden Kampf antworten muss. Zu diesem Kampf leisten die Befreiungsbewegung der Frauen und der Schwulen einen fundamentalen Beitrag. Die Kritik der Teilung in männlicher und weiblicher Rolle, die Enthüllung der Dominanz der einen Rolle über die andere zeigen deutlich, wie bereits die Sphäre des Privaten und Persönlichen von der Unterdrückung und der Ausbeutung kontaminiert sind. Nicht nur: Aus dem feministischen und schwulen Blickwinkel wird die ganze Figur des Mannes, die als Bindeglied zwischen der Herrschaft, die vom Kapital auf der sozialen Ebene (also auf jener von überindividuellen Makrostrukturen) bewirkt wird, und jener, die auf privater Ebene wirkt, unter Anklage gestellt.
Das, was wir gerade gesagt haben, ist nur ein begrenzter Hinweis. Das umfassende Projekt, das Politisches und Persönliches vereint, antikapitalistischer und anti-chauvinistischer Kampf, liegt noch immer in weiter Ferne. Es muss etwas erfunden werden: Theorie und Praxis.
Jetzt, wo wir als autonomes Kollektiv FUORI! Mailand uns in der Bewegung verorten, wollen wir uns insbesondere mit jenen Kräften in Verbindung setzen, die sich tendenziell in die Richtung eines solchen umfassenden Projekts bewegen. Vor allem die Feministinnen. Dann die Jugend und die revolutionäre Linke. Insbesondere interessiert uns jener Teil der Bewegung, der Kämpfe gemäß autonomen Formen führt. In diesen erkennen wir ein reale Umsetzung der Zerstörung von gewissen Rollen (Es reicht aus an die Bedeutung zu denken, die die Verweigerung der Delegation angenommen hat)

Es ist klar, dass wir vor allem anderen die Beziehung mit allen Schwulen, die in der Linken verstreut sind und die immer noch die eigene politische Praxis als etwas von der eigenen Homosexualität Verschiedenes leben, privilegieren.
Wir laden sie ein, mit der Dringlichkeit, die ihr Leben einfordert, zu bedenken, dass eine politische Organisierung, die nicht den freien Ausdruck ihrer grundsätzlichen Identität gestattet (und es wäre nur allzu leicht Namen und Gruppen zu nennen), einer Kritik unterzogen werden müsste.
Sich weiterhin zu verstecken, bedeutet dazu beizutragen die schreckliche Unterdrückung, der wir unterliegen, zu verewigen und den männlichen und phallokratischen Autoritarismus, der auch im Haus der Linken üppig wächst, am Leben zu erhalten.
Unsere Treffen finden jeden Freitag um 21.30 im Sitz der radikalen Partei (die uns freundlicherweise beherbergt) statt.

Collectivo Aunomo Fuori! Di Milano

(Aus Rosso n. 14. 1. Januar 1975)


[1] Der Namen des Kollektivs „Fuori“ heißt übersetzt so viel wie heraus/draußen. Insofern ist der Titel des Textes auch ein Wortspiel mit diesem Namen. (Anm. d. Ü.)

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